Gymnasiasten sind gern gesehene Azubis

Handwerksberufe bieten Abiturienten vielfältige berufliche Perspektiven

Marc Kösters wusste schon früh, dass er nach dem Abitur eine handwerkliche Ausbildung machen wollte. „Ich wollte nach 13 Jahren Schule einen Tapetenwechsel“, blickt der 22-Jährige aus Rheine-Mesum zurück. Nach Schulpraktikum und Jobben in einer Zimmerei sollte es das Holzhandwerk sein. Seit 2011 absolviert der junge Mann nun seine Ausbildung zum Zimmerer bei der Firma Schrameyer in Ibbenbüren-Püsselbüren. Firmenchef Bernhard Schrameyer hat im Laufe der Jahre Gymnasiasten als Lehrlinge schätzen gelernt – wie so viele Handwerksunternehmer. Dabei bietet das Handwerk Schulabgängern mit Fachhochschul- oder allgemeiner Hochschulreife ungeahnte Karrierechancen.   „In kaum einer Branche ist eine Führungsposition für Abiturienten so schnell erreichbar und so abwechslungsreich wie im Handwerk“, ist Frank Tischner, Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Steinfurt-Warendorf, überzeugt. Das Handwerk mit seinen mehr als 100 Ausbildungsberufen stehe nicht nur für eine qualitativ hochwertige Ausbildung, sondern auch für eine einzigartige Mischung aus praktischer Ausbildung und theoretischem Hintergrund. „Um dieses System beneiden uns sehr viele Länder auf der Welt“, so Tischner. „Leider wissen Abiturienten und vor allem deren Eltern oft nicht, welche Perspektiven und Chancen das Handwerk bietet.“ Vor diesem Hintergrund begrüßt Tischner sehr, dass der Meister-Titel des Handwerks im vergangenen Jahr im Deutschen Qualifikationsrahmen auf die gleiche Stufe wie der Bachelor-Abschluss gestellt wurde.  

„Abiturienten sind oftmals sehr aufnahmefähig und entwickeln schnell den Überblick über die Abläufe im Unternehmen“, sagt Zimmermeister Bernhard Schrameyer. In der Regel ist die Berufsschule für sie kein Problem. Andererseits sind sie in Unternehmen oftmals nur auf der Durchreise, bedauert der Zimmerer-Meister. Auch Marc Kösters wird das Unternehmen nach der Gesellenprüfung verlassen, um Holzingenieurwesen zu studieren. Für Bernhard Schrameyer kein Problem. „Vielleicht kann man den Kontakt später noch nutzen, oder er kommt in das Unternehmen zurück, weil er die Kultur und Arbeitsweise im Handwerk zu schätzen weiß“, hofft er. Schließlich arbeite er heute mit so manch einem ehemaligen Azubi zusammen, der Ingenieur oder Architekt sei und manchen Auftrag vermitteln könne.  

Lena Zerulla steht noch ganz am Anfang ihrer Berufslaufbahn. Nach dem Abitur am Graf-Adolf-Gymnasium in Tecklenburg begann die 19-Jährige im August 2013 ihre Ausbildung zur KfZ-Mechatronikerin im Autohaus Bäumer in Ibbenbüren. Einen Ausbildungsplatz im Handwerk zu bekommen, war für sie nicht ganz einfach. „Ich habe mir viele Absagen eingehandelt“, sagt die zierliche junge Frau. Begründung: Der Betrieb sei nicht auf Frauen eingestellt. Thomas Bäumer hat bereits KfZ-Mechatronikerinnen ausgebildet, beschäftigt eine Frau in der Werkstatt. Mit großem Erfolg, wie er sagt.   Die Entscheidung für ihren Beruf fällte Lena Zerulla eher aus dem Bauch heraus. „Weil mein Vater früher so schöne Autos hatte“, verrät sie mit einem Lächeln. Ursprünglich habe ihr ein Design-Studium vorgeschwebt. Als es ernst wurde, entschied sie neu.  Was sie am KfZ-Handwerk mag? „Der Beruf macht mir insgesamt Spaß. Vor allem die Dinge, die man neu lernt. Denn ich möchte nicht jeden Tag das Gleiche machen“, so die Auszubildende.  

Mit Abiturienten hat KfZ-Meister Thomas Bäumer gute Erfahrungen gemacht. Oft hätten sie eine weiterführende Perspektive und seien gute Problemlöser. „Wenn ein Abiturient sich für eine Ausbildung im Handwerk entscheidet, dann hat er in der Regel ein echtes Interesse“, so Bäumer. Abiturienten mit Gesellenbrief hätten später vielfältige Einsatzmöglichkeiten von der Werkstatt über kaufmännische Bereiche bis hin zur Unternehmensübernahme.

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Firmenchef und Zimmerer-Meister Bernhard Schrameyer bespricht mit Azubi Marc Kösters die Pläne für ein aktuelles Projekt.
Ein Reifenwechsel ist für Lena Zerulla am Ende des ersten Lehrjahres kein Problem mehr. Unter Anleitung erneuert sie bereits Bremsscheiben.